Faktencheck Andershofer Wald

Um die Küstenwaldfläche in Stralsund Andershof wird derzeit intensiv diskutiert. Dort soll u.a. eine Waldfläche gerodet und u.a. mit einem Discounter und den erforderlichen Parkplätzen bebaut werden. CDU/FDP, die „Bürger für Stralsund“, die AfD und die SPD haben sich mit ihren Bürgerschaftsfraktionen für die Rodung des Waldes und eine Bebauung der Waldfläche mit einem Discounter ausgesprochen. Die Fraktionen der Linken und die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN/DIE PARTEI sind für den Erhalt des Wäldchens.

Das Bebauungsplanverfahren läuft noch, inzwischen hat die Schutzzeit für Brutvögel (März bis September) begonnen, doch Investor und Stadtverwaltung machen zeitlichen Druck. In der vergangenen Woche titelte die Ostseezeitung dazu: „Wird der Andershofer Wald mitten in der Brutzeit gerodet?“ und spielte damit auf Absicht von Investor Fred Musahl an, das Andershofer Wäldchen schnellstmöglich abzuholzen und mit den Bautätigkeiten zu beginnen.

Anmerkung: Der Artikel der Stralsunder Ostseezeitung vom 25. März 2021 findet sich hier (paywall): www.ostsee-zeitung.de/Vorpommern/Stralsund/Stralsund-Wird-der-Andershofer-Wald-mitten-in-der-Brutzeit-gerodet

Das Verfahren, das eine Rodung des Waldes möglicherweise zulässt, ist kompliziert. Wir haben uns daher entschieden, einige zentrale Fragen zu beantworten, um mehr Verständnis zu den rechtlichen Hintergründe zu schaffen. Darüber hinaus haben wir einige Anmerkungen beigefügt, die aus unserer Sicht für eine Beurteilung dieses Konflikts wichtig sind.

Warum ist an dieser Stelle eigentlich ein Wald entstanden?

Es handelt sich hier um einen sog. Sukzessionswald. Die Fläche des Andershofer Wäldchens war einmal bebaut und wurde dann nach teilweisem Rückbau nicht mehr genutzt. Die Natur holt sich eine solche Fläche dann wieder und inzwischen ist ein Jungwald entstanden, der alle typischen Merkmale eines Sukzessionswaldes aufzeigt. In den etwa 10 bis 15 Jahren der Waldentwicklung haben sich zahlreiche Tiere angesiedelt und nutzen den Wald als Lebensraum. Insbesondere in dicht besiedelten Gebieten sind solche Flächen überaus wertvoll. So haben solche Flächen große Bedeutung für das Stadtklima, für den Lärmschutz, den Artenschutz, die Erholung und vieles Andere mehr.

Anmerkung: Die Vorsitzende der SPD-Bürgerschaftsfraktion erklärt in einem aktuellen Beitrag (Facebook und Website der SPD Fraktion), dass die Hansestadt Stralsund als Eigentümerin in den letzten 30 Jahre das Grundstück verwildern lies und daher der Sukzessionswald entstanden ist. Das ist nicht richtig. Die Hansestadt Stralsund war nicht Eigentümerin dieser Fläche und daher auch nicht dafür zuständig, etwas gegen die „Verwilderung“ zu tun.

Eigentümerin war das Land Mecklenburg-Vorpommern und als der Investor die Fläche im Jahr 2016 vom „landeseigenen Betrieb für Bau und Liegenschaften Mecklenburg-Vorpommern“ (BBL) erwarb, war dies kein Bauland, sondern bereits geschützter Wald nach dem Landeswaldgesetz. Das wusste der Investor, kannte damit die Bedingungen und hat seinerzeit wohl auch einen Kaufpreis an die BBL gezahlt, der von einer Waldfläche ausging und nicht von einer bebaubaren Fläche.

Warum darf der Investor überhaupt einen Wald roden und die gerodete Fläche anschließend bebauen?

Antwort: Das darf er nicht so ohne Weiteres. Baurechtliche Voraussetzung dafür ist ein Bebauungsplan, der durch die Stralsunder Bürgerschaft beschlossen werden muss (ein sog. Satzungsbeschluss). Darin wird festgelegt, ob, was und wie gebaut werden darf. So lange dieser Bebauungsplan nicht beschlossen ist, kann auch nicht gebaut werden.

Ist durch die Bürgerschaft ein Bebauungsplan (B-Plan) beschlossen worden?

Antwort: Nein, das B-Plan-Verfahren wird zwar derzeit durchgeführt, aber es gab in der Bürgerschaft im März 2021 nicht den erforderlichen Satzungsbeschluss, sondern „nur“ Beschlüsse, die den Satzungsbeschluss vorbereiteten, sogenannte Abwägungsbeschlüsse. Insofern ist der Wald normalerweise so lange geschützt, bis die Bürgerschaft den Bebauungsplan beschlossen hat.

Anmerkung: Die Verwaltungsvorlage zum Bebauungsplanverfahren findet ihr hier:
https://webris.stralsund.de/buergerinfo/vo0050.asp?__kvonr=7852″

Warum kann dann vielleicht trotzdem vorher gebaut werden?

Von jeder Regel gibt es bekanntlich Ausnahmen und das gilt auch hier. Die Stadtverwaltung hat zumindest planungsrechtlich einen Weg gefunden, die Waldfläche kurzfristig zu roden und die Bebauung mit dem Discounter vor der Verabschiedung des Bebauungsplans (der o.g. notwendige Satzungsbeschluss) zu ermöglichen. In Ausnahmen ist in § 33 Baugesetzbuch unter bestimmten Bedingungen eine vorgezogene Bebauung vorgesehen.

Anmerkung: Die Regelungen zum Baugesetzbuch § 33 (Zulässigkeit von Verfahren während der Planaufstellung) findet ihr hier: „https://dejure.org/gesetze/BauGB/33.html“

Warum legt der Investor dann nicht sofort mit der Rodung und Abholzung los?

Nach unserer Kenntnis unternimmt der Investor derzeit Vieles, um die Waldfläche schnell roden zu können. Aber derzeit spricht noch Einiges dagegen. Der Investor kann derzeit nicht mit der Rodung und Bebauung beginnen, weil er zunächst eine Waldumwandlungsgenehmigung benötigt, die ihm auferlegt, im Falle der Rodung an anderer Stelle einen Wald-Ausgleich zu schaffen. Ein Waldumwandlungsantrag ist durch den Investor bereits gestellt worden, derzeit prüft die Landesforstanstalt diesen Antrag.

Das klingt ja nur nach einer einfachen Formalie oder ist das schwieriger?

Es gibt erhebliche Hürden. Zum einen dürfte sowohl die Forstbehörde wie auch das Umwelt- und Landwirtschaftsministerium inzwischen darüber gestolpert sein, dass gar kein Satzungsbeschluss zum Bebauungsplan vorliegt (Siehe Antwort auf die Fragen 2 und 3).

Nach Einschätzung unserer Juristen ist das Verfahren noch nicht so weit fortgeschritten, dass der Waldumwandlungsantrag genehmigungsfähig ist. Außerdem bezieht die Forstbehörde den Landkreis Vorpommern-Rügen als sog. Untere Naturschutzbehörde (UNB) ein, denn die ist für den Naturschutz zuständig und muss zum Beispiel prüfen, welche Tiere im Wald anzutreffen sind und wie ihr Schutzstatus ist.

Wie ist der Schutzstatus des Waldes, bzw. der im Wald lebenden Tiere?

Der Andershofer Wald ist als Küstenschutzwald kartiert. 2018 hat sich ein sogenannter artenschutzrechtlicher Fachbeitrag der Gutachter von Umweltplan Stralsund mit den in diesem Wald lebenden Tierarten beschäftigt. Festgestellt wurden u.a. 18 Brutvögel, so zum Beispiel Brutvorkommen von Birkenzeisig, Rauchschwalbe und Saatkrähen. Waldeidechsen bevölkern den Wald und die Fläche ist als Jagdhabitat für zahlreiche Fledermausarten festgestellt worden. Insbesondere die Brutvögel sind nach Bundesnaturschutzgesetz in den Monaten März bis September besonders geschützt, weil sie in diesem Zeitraum brüten.

Anmerkung: Der Schutz der Brutvögel ist in § 39 des Bundesnaturschutzgesetzes geregelt, den Gesetzestext findet ihr hier: https://dejure.org/gesetze/BNatSchG/39.html

Warum kann man den Wald dann in der Brutzeit trotzdem abholzen?

Im Rahmen des Waldumwandlungsantrages wird auch geprüft, ob die Waldfläche aktuell noch so artenreich ist und insbesondere, ob bedeutende Tierarten vorkommen. Ist dies nicht der Fall, dann kann es unter bestimmten Bedingungen trotzdem ermöglicht werden, die Waldfläche in der Brutzeit zu roden.

Welche Rolle spielen hier die am Rande des Waldes installierten Lautsprecher?

Möglicherweise spielt das eine bedeutende Rolle. Seit geraumer Zeit duldet oder betreibt der Eigentümer des Nachbargrundstücks der Waldfläche (dort, wo die Karavan-Stellplätze sind) eine Vergrämungsanlage mit dem Ziel die Vögel aus dem Waldstück zu vertreiben. Über die dort befindlichen Lautsprecher werden Laute eingespielt, die insbesondere die Saatkrähen sowie Singvögel beunruhigen, immer wieder aufschrecken und am Nestbau hindern. Irgendwann verlassen diese Vögel dann das Waldstück.

Bemerkenswert: In der Ostsee-Zeitung vom 25. März „beteuert Investor Musahl, dass er von der Anlage nichts wisse“. Oberbürgermeister Badrow und Stadtförster Thomas Struw sagten dazu „sie hörten davon zum ersten Mal“.

Ebenfalls bemerkenswert: In der gleichen Ausgabe der Ostseezeitung sagt der Stralsunder Planungsamtsleiter Dr. Raith: „Die Vögel sind während der Brutzeit geschützt, aber nicht beim Suchen ihres Revieres. Flächen, die bebaut werden sollen mittels Vergrämungsmaßnahme freizuhalten, ist ein klassisches Mittel der Ökologie.“

Alleine dies Bemerkungen dokumentieren aus unserer Sicht, dass Investor und führende Vertreter der Stadtverwaltung dem Arten- und Waldschutz eine nachgeordnete Bedeutung beimessen und alles versuchen werden, um die Bebauung der Fläche durchzusetzen.

Wie geht es jetzt weiter?

Die Landesforstanstalt und das zuständige Umwelt- und Landwirtschaftsminsterium prüfen den Waldumwandlungsantrag. Der Investor hat dazu bereits ein neues Artenschutzgutachten beauftragt, das für die Einschätzung, ob die Waldfläche in der Brutzeit gerodet werden darf oder nicht, von großer Bedeutung ist. Es deutet Vieles darauf hin, dass manche Vögel, insbesondere die besonders schützenswerten Saatkrähen „erfolgreich“ vergrämt worden sind, was den Investor und die Stadtverwaltungsspitze in ihrer Absicht, die Fläche schnell bebauen zu können, eine wesentlichen Schritt weiterbringen könnte.

Kann man das auf rechtlichem Wege verhindern?

Ja, aber das kann nicht Jeder*r. Rechtlich aussichtsreiche Möglichkeiten haben unter bestimmten Bedingungen nur direkt betroffene Anwohner und Grundstückseigentümer (also unmittelbare Nachbarn) oder aber die anerkannten Naturschutzverbände.